Werkstattrisiko –

die gegnerische Haftpflichtversicherung muss bezahlen! 

Häufig liest man im Internet oder hört von Unfallgeschädigten, dass eine Versicherung eine Reparaturrechnung gekürzt und den Rechnungsbetrag nicht vollständig bezahlt hat. Oft erfolgt dies im Zusammenhang mit sogenannten Prüfberichten. Vor allem Autohäuser bzw. Werkstätten stehen dann ratlos und verärgert da. Keiner möchte seinem eigenen Kunden in die Tasche greifen. Dies hat zur Folge, dass vor allem Autohäuser und Werkstätten oft auf dem “Schaden” sitzen bleiben. Aus unsere Sicht völlig unnötig, da die Rechtslage zu ihren Gunsten ist.

1. Wie lautet der Grundsatz im “Unfallrecht”?

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass das Werkstattrisiko zu Lasten des Schädigers geht. >Hier ein toller und lesenswerter Beschluss des Amtsgerichts Coburg. <

2. Was ist passiert? 

Der Kläger macht nach einem Verkehrsunfall weitere Ansprüche auf Ersatz seines Sachschadens geltend. Im November 2017 wurde das Fahrzeug des Klägers bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die volle Haftung der Beklagten als Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners steht außer Streit. Der Kläger trat seine Ansprüche unter anderem gegen die Beklagte auf Ersatz der Reparatur- und Mietwagenkosten sicherungshalber an die R. GmbH & Co. KG, Betreiberin eines Autohauses, ab und holte ein Sachverständigengutachten ein, das voraussichtliche Reparaturkosten von brutto 12.574,40 € auswies. Sodann ließ der Kläger das Fahrzeug von der Werkstatt instandsetzen, wofür diese ihm einen Gesamtbetrag von brutto 14.457,36 € in Rechnung stellte. Die Beklagte zahlte hierauf nur einen Betrag von 13.372,08 €. Der Restbetrag von 1.085,28 € ist noch offen; auch der Kläger hat ihn bislang gegenüber der Werkstatt nicht beglichen. Insbesondere mit der Behauptung, die von der Werkstatt in Bezug auf die Instandsetzung im Einzelnen abgerechneten Leistungen seien erforderlich gewesen und von dieser auch tatsächlich erbracht worden, hat der Kläger die Beklagte in den Vorinstanzen darauf in Anspruch genommen, ihn von den restlichen Reparaturkosten in Höhe von 1.085,28 € gegenüber der Werkstatt freizustellen.

Das Amtsgericht hat der Klage vollumfänglich stattgeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil nach Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens abgeändert und die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, den Kläger von Reparaturkosten in Höhe von 436,86 € gegenüber der Werkstatt Zug-um-Zug gegen Abtretung eventueller Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Werkstatt freizustellen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren, soweit es in Höhe von 648,42 € abgewiesen worden ist, mit der Maßgabe weiter, dass er Zahlung des Betrages an die Werkstatt verlangt.

3. Aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs

Dies hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 26. April 2022 erneut bestätigt und führt zum Werkstattrisiko anderem Folgendes aus:

Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen (sogenannte “Ersetzungsbefugnis”). Im Ausgangspunkt ist der Anspruch auf Befriedigung seines Finanzierungsbedarfs in Form des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrags und nicht etwa auf Ausgleich von Rechnungen gerichtet (vgl. nur Senatsurteil vom 17. Dezember 2019 – VI ZR 315/18, NJW 2020, 1001 Rn. 14). […]

Zu berücksichtigen ist etwa auch die Abhängigkeit des Geschädigten von Fachleuten, die er zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs heranziehen muss (Senatsurteil vom 29. Oktober 1974 – VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 184, juris Rn. 9). Übergibt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein (insbesondere Auswahl oder Überwachungs-) Verschulden trifft, so sind die dadurch anfallenden Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger deshalb auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt im Vergleich zu dem, was für eine entsprechende Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind (Senatsurteil vom 29. Oktober 1974 – VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 186, juris Rn. 12); in einem solchen Fall gegebenenfalls bestehende Ansprüche des Geschädigten gegen den Werkstattbetreiber spielen nur insoweit eine Rolle, als der Schädiger im Rahmen des Vorteilsausgleichs deren Abtretung verlangen kann (Senatsurteil vom2 9. Oktober 1974 – VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 186, juris Rn. 13).

Das Werkstattrisiko verbleibt damit – wie bei § 249 Abs. 1 BGB – auch im Rahmen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger beim Schädiger (Senat aaO, 185, juris Rn. 10; ferner Senatsurteile vom 16. November 2021 – VI ZR 100/20, DAR 2022, 84 Rn. 7; vom 15. Oktober 2013 – VI ZR 528/12, VersR 2013, 1590 Rn. 31; vom 10. Juli 2007 – VI ZR 258/06, NJW 2007, 2917 Rn. 11; vom 15. Oktober 1991 – VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364, 370, juris Rn. 15; LG Saarbrücken, NJW 2022, 87 Rn. 6, 10).

 

4. Fazit – das Werkstattrisiko geht zu Lasten des Schädigers und somit auch zu Lasten der gegnerischen Haftpflichtversicherung – ABER

Wenn man als Unfallgeschädigter sein Fahrzeug vollständig sowie fach- und sachgerecht gegen Rechnung reparieren lässt, dann hat die Gegenseite diese Rechnung grundsätzlich vollständig zu bezahlen. Es handelt sich nämlich um einen Anspruch auf Schadenersatz. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Rechnung falsch oder richtig ist, sondern einzig und allein darauf, ob die Rechnung unfallbedingt entstanden ist. Das Werkstattrisiko geht zu Lasten des Schädigers (und somit auch zu Lasten der gegnerischen Haftpflichtversicherung). ABER: Hier ist unbedingt zu beachten, dass man vor Erhebung einer Klage die Vorgaben des Bundesgerichtshofs aus der o.g. Entscheidung zwingend berücksichtigt!

5. Tipp

Im Idealfall sollte im Reparaturauftrag sinngemäß Folgendes stehen: “Reparatur gemäß Gutachten”.

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