Die fiktive Abrechnung lebt –

auch in Darmstadt!

 

1. Was ist passiert?

Ein Richter am Landgericht Darmstadt hat mit Urteil vom 05.09.2018 die fiktive Abrechnung für “tot” erklärt.  Wir hatten bereits darüber berichtet, was es bedeutet, nach einem unverschuldeten Unfall fiktiv abzurechnen. Diesen Artikel kann man >>>hier nachlesen<<<. Das Urteil des Landgerichts Darmstadt ist glücklicherweise noch nicht rechtskräftig. Die Sache liegt nun beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main.

2. Was hat das Landgericht Darmstadt ausgesagt?

Der zuständige Richter am Landgericht Darmstadt hat sinngemäß ausgesagt, dass nach einem Unfall eine fiktive Abrechnung für den Unfallgeschädigten nicht mehr möglich sei und ein Anspruch auf Nutzungsausfall entfalle. Dabei bezog sich der Richter auf ein Urteil des Bundesgerichtshof zum Baurecht. Richtig ist, dass es die Entscheidung gibt. Richtig ist auch, dass ein “Bauvertrag” und ein “Reparaturvertrag” regelmäßig Werkverträge im Sinne des § 631 BGB sind.

3. Ist das Urteil des Landgerichts Darmstadt falsch?

Meiner Meinung nach, ist das Urteil des Landgerichts Darmstadt falsch. Zum einen hat der zuständige Richter am Landgericht Darmstadt Bananen mit Turnschuhen verglichen. Als Unfallgeschädigter ist man so zu stellen, wie ohne Unfall. Alle unfallbedingten Kosten sind dem Unfallgeschädigten zu erstatten. Der Unfallgeschädigte macht Schadenersatzansprüche aus dem Gesetz geltend, nämlich aus § 823 Absatz 1 BGB. Daher ist die Bezugnahme des zuständigen Richters vom Landgericht Darmstadt auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs nicht richtig, da der Bundesgerichtshof nicht über gesetzliche Schadenersatzansprüche entschieden hat. Es liegt eine völlig anderer Sachverhalt und eine andere Interessenlage vor.

Bereits mit Urteil vom 29.04.2003 hat der Bundesgerichtshof (der zuständige Senat für Verkehrsunfälle) entschieden, dass man als Unfallgeschädigte fiktiv abrechnen kann und selbst bei einer fiktiven Abrechnung einen Anspruch auf die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt hat.

fiktive Abrechnung

fiktive Abrechnung

 

Mit Urteil vom 19.02.2013 hat der Bundesgerichtshof nochmals klargestellt, dass auch bei einer fiktiven Abrechnung (sogar) ein Anspruch auf Erstattung von fiktiver Sozialabgaben und Lohnnebenkosten besteht. Eine künstliche Aufspaltung einzelner Positionen ist weder möglich noch vom Gesetzgeber gewollt, so der Bundesgerichtshof.

Wenn man als Unfallgeschädigter einen Anspruch auf die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt und auf Sozialabgabe sowie Lohnnebenkosten hat, dann muss das auch für alle anderen Positionen gelten. Daher ist es mir ein Rätsel, wie der zuständige Richter vom Landgericht Darmstadt zu seiner abenteuerlichen Entscheidung gelangt ist.

Der zuständige Richter vom Landgericht Darmstadt darf auch nicht pauschal den Anspruch auf Nutzungsausfall verneinen. Auch an dieser Stelle habe ich den Eindruck, dass der zuständige Richter NICHT die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kennt.

Voraussetzung für die Erstattung des Nutzungsausfalls ist der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit sowie Nutzungswille und Nutzungsmöglichkeit des Geschädigten (Nutzungswille und hypothetische Nutzungsmöglichkeit) und besteht für die erforderliche Ausfallzeit, d.h. für die notwendige Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und ggf. einer angemessenen Überlegungszeit. In diesem Zusammenhang spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der Halter und Fahrer eines privat genutzten PKW diesen während eines unfallbedingten Ausfalls auch benutzt hätte.

Dazu hatte sich der Bundesgerichtshof bereits mit Urteil vom 30.09.1963 geäußert. Mehr zum Thema Nutzungsausfall kann >>>hier nachgelesen werden<<<.

Alle Kfz-Sachverständige / Gutachter sollten daher Ruhe bewahren und weiterhin an den bisherigen Grundsätzen festhalten. Ich hoffe und bin mir sicher, dass die Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main für Klarheit sorgen werden (auch in Darmstadt).

Umut Schleyer – Rechtsanwalt – Fachanwalt für Verkehrsrecht in Berlin