Es gibt keinen einfachen Unfall – 

so der Bundesgerichtshof!

In einem aktuellen Urteil hatte sich der Bundesgerichtshof mit zwei Fragen zu beschäftigen:

1. Muss nach einem Unfall ein Großkundenrabatt berücksichtigt werden?

2. Besteht ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten bei einem einfachen Unfall?

Beides hat der Bundesgerichtshof bejaht.

Wir haben bereits mehrfach darüber berichtet, dass die Unfallregulierung in Deutschland aus dem Ruder läuft. Es wird systematisch zum Nachteil der Unfallgeschädigten gekürzt. Hier gibt es einen Artikel über die HUK, hier einen Artikel über die VHV und hier einen Bericht über die Allianz. Diese Aufzählung erfolgt exemplarisch und könnte beliebig fortgeführt werden.

Im vorliegenden Fall hatte der Bundesgerichtshof festgestellt, dass der Unfallgeschädigte sich einen Großkundenrabatt nach einem Unfall anrechnen lassen muss. Dies hatte zur Folge, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung auch nur den um den Großkundenrabatt geminderten Betrag (Schadenersatz) bezahlen musste.

Viel interessanter an dieser Entscheidung ist jedoch, dass der Bundesgerichtshof sich auch mit der Frage beschäftigen musste, ob ein einfacher Unfall auch einen einfach gelagerten Fall darstellt. Die zuständige Haftpflichtversicherung hatte nämlich argumentiert, bei einem einfachen Unfall benötigt man keinen Rechtsanwalt, weil es ein einfach gelagerter Fall ist, mit der Folge, dass man als Unfallgeschädigter keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten hätte. Kann das sein?

Der Bundesgerichtshof sagt NEIN.

Der Bundesgerichtshof geht noch viel weiter und stellt klar, dass man vernünftige Zweifel daran haben darf, dass der Unfallgegner oder dessen Haftpflichtversicherung ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird. Das ist ein Paukenschlag. Der Bundesgerichtshof macht damit klar, dass ihm die “KÜRZUNGSEPIDEMIE” der Haftpflichtversicherung bekannt ist. Das ist eine klare Aussage. Hier ein Auszug aus dem Urteil:

“Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die schadensrechtliche Abwicklung eines Verkehrsunfalls, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren, jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall darstellt, wird inzwischen von der wohl überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung der unteren Instanzgerichte geteilt [….]

 

Dabei wird zu Recht darauf abgestellt, dass bei einem Fahrzeugschaden die rechtliche Beurteilung nahezu jeder Schadensposition in Rechtsprechung und Lehre seit Jahren intensiv und kontrovers diskutiert wird, die umfangreiche, vielschichtige und teilweise uneinheitliche Rechtsprechung hierzu nach wie vor fortentwickelt wird und dementsprechend zwischen den Geschädigten und den in der Regel hoch spezialisierten Rechtsabteilungen der Haftpflichtversicherer nicht selten um einzelne Beträge – wie auch vorliegend – bis in die letzte Gerichtsinstanz gestritten wird. […]

 

Bei Unklarheiten im Hinblick jedenfalls auf die Höhe der Ersatzpflicht, wie sie typischerweise bei Fahrzeugschäden nach einem Verkehrsunfall bestehen, darf aber auch und gerade der mit der Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen vertraute Geschädigte vernünftige Zweifel daran haben, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird. Dass der erfahrene Geschädigte durchaus in der Lage sein wird, den Unfallhergang zu schildern und – ggf. unter Beifügung eines Sachverständigengutachtens – die aus seiner Sicht zu ersetzenden Schadenspositionen zu beziffern, macht den Fall selbst bei Eindeutigkeit des Haftungsgrundes nicht zu einem einfach gelagerten und schließt deshalb die Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht aus.”

(Fettdruck durch die Kanzlei Schleyer)

Fazit:

Der Bundesgerichtshof kennt offensichtlich die hässliche Regulierungspraxis der Haftpflichtversicherer nach einem Unfall und stellt mit deutlichen Worten klar, dass es keinen einfachen Unfall gibt, mit der Folge, dass man als Unfallgeschädigter einen Anwalt beauftragen darf und einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat.